Warum jeder Online-Shop barrierefrei sein sollte

Barrierefreiheit ist weit mehr als ein Nice-to-Have oder ein gut gemeinter Service für eine Minderheit. In diesem Artikel erfährst du, warum barrierefreie Online-Shops nicht nur rechtlich verpflichtend sind, sondern eine entscheidende Rolle für den langfristigen Erfolg deines Unternehmens spielen.

21.11.2024 10 min Lesezeit
Von: Kathrin Köhler Experience Design Director (UI)

Inhalt

  1. Online-Shops, die niemanden ausschließen
  2. Die wirtschaftliche Dimension
  3. Barrierefreiheit für Online-Shops wird Pflicht
  4. Rechtliche Anforderungen
  5. Ein Tool als Lösung?
  6. So gelingt der barrierefreie Online-Shop
  7. Praxisbeispiele

Barrierefreiheit: Online-Shops, die niemanden ausschließen

Sauber strukturierte, einfach bedienbare Oberflächen und gut lesbare Texte mit starken Farbkontrasten: Barrierefreiheit im E-Commerce ermöglicht etwa Menschen mit Sehbehinderungen oder motorischen Behinderungen einen leichteren Zugang zu Web-Angeboten. Sie alle können eine barrierefrei aufgebaute Website deutlich einfacher verstehen, navigieren und nutzen.

Was aber kaum jemandem bewusst ist: Nicht nur Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen profitieren von Maßnahmen der digitalen Barrierefreiheit im E-Commerce. Eine barrierefreie Website ist für alle leichter nutzbar.

Frage dich mal, wie es dir beispielsweise bei den folgenden Situationen ergeht:

  • Gelingt es dir, bei blendendem Sonnenlicht deine E-Mails auf dem Handy zu lesen?
  • Bist du schon einmal daran gescheitert, betrunken per App ein Taxi zu bestellen?
  • Oder hast du schon einmal die Untertitel eines Videos zu schätzen gewusst, weil du es in der Bahn gucken wolltest, ohne andere Personen zu stören?


In Situationen wie diesen hilft die digitale Barrierefreiheit sehr vielen Menschen. Grundsätzlich gibt es daher über die Nutzergruppe von Menschen mit Behinderungen hinaus zwei weitere Gruppen, die direkt von den Maßnahmen profitieren:

  • temporär eingeschränkte Menschen, z. B.: Ich habe mir die Hand gebrochen, mit der ich normalerweise die Maus bediene.
  • situativ eingeschränkte Menschen, z. B.: Ich habe ein weinendes Baby auf dem Arm und versuche, über die App Abendessen zu bestellen.
Übersicht über mögliche Nutzergruppen barrierefreier Webseiten, welche im Microsoft Inclusive Design Toolkit illustriert sind: https://inclusive.microsoft.design/

Die wirtschaftliche Dimension: Barrierefreiheit als Wachstumsfaktor

Laut der Weltgesundheitsorganisation leben weltweit 1,3 Milliarden Menschen mit Behinderungen – allein in Deutschland sind es 7,9 Millionen. Diese Zielgruppe ist keineswegs eine Nische, sondern stellt eine erhebliche Kaufkraft dar. Barrierefreiheit in Online-Shops bedeutet, diese potenziellen Kund:innen nicht auszuschließen, sondern aktiv einzubinden.

Ein barrierefreier Online-Shop verbessert zudem die Nutzerfreundlichkeit für alle Kund:innen, was zu höherer Zufriedenheit und mehr Conversions führt. Ein barrierefreier Online-Shop ist daher nicht nur ein Zeichen sozialer Verantwortung, sondern auch ein wirtschaftlicher Hebel, um deine Marktposition zu stärken.

Rechtliche Grundlage: Barrierefreiheit für Online-Shops wird Pflicht

Was viele missverstehen: Barrierefreiheit ist kein Service, sondern ein Menschenrecht. Konkret bedeutet dies, dass Unternehmen gesetzlich verpflichtet werden, ihre Websites, Apps, Online-Shops und andere digitale Inhalte im Hinblick auf die Barrierefreiheit zu verbessern. Sie müssen anpassen, was lange versäumt wurde.

In Deutschland legt unter anderem die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung, die BITV 2.0, die Standards der barrierefreien Gestaltung fest. Diese Verordnung ist nicht neu, sondern wurde in ihrer ersten Form bereits 2002 im Rahmen des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) umgesetzt.

Sie betrifft die Websites und digitalen Angebote öffentlicher Stellen. Mit dem 2021 erlassenen Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) als Umsetzung der EU-Richtlinie (European Accessibility Act) ist die digitale Barrierefreiheit in Deutschland auch für Online-Shops und andere Unternehmen verpflichtend. Seit dem 28. Juni 2022 als Stichtag müssen alle größeren E-Commerce-Websites barrierefrei sein. Die letzte Frist für die vollständige Umsetzung ist der Sommer 2025.

Umso wichtiger die Frage: Was bedeutet Barrierefreiheit für Online-Shops konkret?

Design und Code barrierefrei gestalten?

Dabei unterstützen wir dich gerne. Schreib uns einfach eine kurze Nachricht!

Barrierefreie Online-Shops: die rechtlichen Anforderungen

Es gibt global geltende, festgelegte Standards für barrierefreie Websites – die sogenannten WCAG-Richtlinien (Web Content Accessibility Guidelines).

  • A: Diese Stufe der Barrierefreiheit deckt das Mindestmaß ab.
  • AA: Diese Stufe behebt die häufigsten Probleme bei der Barrierefreiheit.
  • AAA: Diese Stufe entspricht dem höchsten Standard.

Doch müssen wir in allen Bereichen den höchsten Standard der WCAG Konformitätsstufen AAA erfüllen? Die Antwort lautet: Nein, nicht zwingend. Ein Blick auf die rechtliche Lage klärt die vorgeschriebenen Standards und zeigt Ausbaustufen auf, die Unternehmen ganz gezielt vornehmen können.

E-Commerce-Seiten beispielsweise müssen die mittlere WCAG Konformitätsstufe Level AA erreichen – mehr dazu erfährst du in unserem Artikel Barrierefreies Webdesign.

Die WCAG-Richtlinien sind weitverbreitet und haben sich auch auf internationaler Ebene durchgesetzt. Möchte ich beispielsweise meine Websitefarben im Figma Designtool testen, stehen nur Plugins zur Verfügung, die Messungen mit einem Ergebnis liefern, das nach den WCAG-Leveln A-AAA eingestuft ist.

Aufgrund der Internationalität sind aktuell nicht die deutschen BITV 2.0 Richtlinien verpflichtend, sondern es steht einem frei, sich stattdessen an den internationalen WCAG-Richtlinien zu orientieren. Im Grunde ähneln sich die Prüfschritte und Erfolgskriterien von beiden, der Unterschied liegt im Aufbau und der Anzahl an Prüfkriterien. Die BITV 2.0 Anforderungen sind umfangreicher und nicht wie die WCAG 2.0 Kriterien in Level unterteilt.

Übersicht der Überschneidung von WCAG und BITV Anforderungen

Customized Javascript Overlays und Web Accessibility Widgets als Lösung?

Gibt es da nicht ein Tool, das wir einbinden können? Die Antwort ist relativ simpel: Leider nein.

Als die ersten Klagen in den USA bei E-Commerce-Unternehmen eintrudelten, war zu beobachten, dass immer mehr Websites sogenannte Web Accessibility Widgets und Plugins in die Seiten implementiert haben. Erkennbar ist dies an einem kleinen Icon. Auf Klick öffnet sich ein Layer, bei dem man etliche Einstellungen vornehmen kann.

Tools wie diese klingen erstmal hilfreich, sie geben vermeintlich endlose Hilfestellungen für Nutzer:innen sowie eine ebenso vermeintliche Sicherheit für Unternehmen. In der Praxis sind die Tools aber keine Lösung.

Wir erklären, warum nicht:

  • Sie verursachen mehr Probleme, als sie lösen. So sind sie unter anderem inkompatibel mit einigen Screenreadern.
  • Sie geben ARIA-Labels nicht immer korrekt aus.
  • Sie stellen keine geeigneten ALT-Texte zur Verfügung.
  • Sie ermöglichen nicht unbedingt die Navigation mit der Tastatur.
  • Darüber hinaus können Nutzer:innen unzählige visuelle Einstellungen vornehmen, die nichts mehr mit dem ursprünglichen Branding zu tun haben.
Schematische Darstellung eines Accessibility Plugins für Webseiten

Lösung: So gelingt der barrierefreie Online-Shop

Du fragst dich, wie du jetzt deinen Online-Shop barrierefrei gestalten kannst? Statt auf halbherzige Lösungen wie Javascript Overlays oder Web Accessibility Widgets zu setzen, die oft mehr Probleme schaffen, als sie lösen, ist eine saubere Grundstruktur entscheidend, die von Anfang an und von allen Fachbereichen barrierefrei gedacht und aufgebaut ist. Klingt aufwendig? Ist es aber gar nicht. Denn in der Regel geht Barrierefreiheit Hand in Hand mit den üblichen Optimierungen im Hinblick auf SEO, Content-Management sowie Usability und Design-Systeme.

In einer sorgfältig aufgebauten UI-Pattern-Library werden beispielsweise Farbkontraste ohnehin getestet und in einer klar strukturierten Hierarchie verankert. Ebenso werden die unterschiedlichen visuellen Zustände von Komponenten definiert. Die Berücksichtigung von Richtlinien für barrierefreies Design bedeutet hierbei keinen zusätzlichen Aufwand, sondern wird von Anfang an im Prozess integriert.

Ähnlich verhält es sich bei der Navigation eines Online-Shops: Sie sollte so einfach wie möglich sein, was sich beinahe vollständig mit den Anforderungen an eine klassische Usability- Optimierung deckt. Ein Beispiel dafür ist das UX-Writing für Linktexte: Für Screenreader müssen diese klar beschreiben, wohin der Link führt, damit sich blinde Nutzer:innen gut zurechtfinden. Der beliebte Text "Mehr erfahren" ist hier nicht hilfreich, was auch den Usability-Empfehlungen für eine intuitive Bedienbarkeit entspricht.

Das bedeutet: Barrierefreiheit bringt nicht nur einen gesellschaftlichen Mehrwert, sondern hilft auch, deine Website insgesamt zu optimieren.

Es spart Aufwand (und damit Kosten), Barrierefreiheit direkt von Anfang an zu integrieren. Deshalb entwickeln wir bei Moccu neue Websites und Apps direkt barrierefrei – unter Berücksichtigung des jeweils empfohlenen A- bis AAA-Levels.

Weitere Informationen und eine Sammlung von Best Practices findest du auch in unserem Artikel Barrierefreies Webdesign.

Praxisbeispiele: Erfolgreiche Umsetzung von Barrierefreiheit in Online-Shops

Hier sind einige Praxisbeispiele, die häufig bei der Gestaltung von Online-Shops zum Einsatz kommen. Sie zeigen, wie bestimmte Elemente angepasst werden, um den Anforderungen an Barrierefreiheit gerecht zu werden:

Farbkontrast des Buttons:

Oftmals erfüllen die Brand-Farben nicht die Kontrastanforderungen der WCAG. Daher müssen wir im Design-System Anpassungen vornehmen, um das erforderliche Kontrastverhältnis von 4,5:1 sicherzustellen – beispielsweise vorhandene Farben optimieren oder zusätzliche Farbtöne einführen.

Volle Kontrolle über Videosteuerung:

In Online-Shops ist es ein beliebtes Mittel, über kurze Videoclips ein besseres Gefühl für Marke und Produkte zu transportieren. Dabei ist zu beachten, dass potenzielle Krampfanfall-Trigger (zum Beispiel zu schnelle Schnitte) vermieden werden. Ebenso muss Nutzer:innen die Möglichkeit gegeben werden, Videos per Mausklick oder Tastatursteuerung zu pausieren.

Fokus-State zur Keyboard-Steuerung:

Filterfunktionen für Produktlisten spielen eine große Rolle in Online-Shops. Um Nutzergruppen, die auf eine Bedienung per Keyboard angewiesen sind, einen robusten und intuitiven Prozess zu ermöglichen, muss ein klar erkennbarer Fokus-State von Radiobuttons und Checkboxen gewährleistet werden. Die Visualisierung in Form eines Fokusrahmens muss ebenfalls die WCAG-Kontrastanforderungen erfüllen, damit Nutzer:innen sofort erkennen, welche Schaltfläche ausgewählt ist.

Fazit: Barrierefreiheit von Online-Shops zahlt sich mehrfach aus

  • Das rechtliche Risiko für dein Unternehmen wird minimiert.
  • Die Marktreichweite wird vergrößert.
  • Deine Marke wird positiver positioniert und somit der Wert gesteigert.
  • Doch was noch viel wichtiger ist: Barrierefreie digitale Anwendungen im E-Commerce sind unverzichtbar für eine gelebte inklusive Unternehmenskultur.

Wir müssen es uns zum Ziel setzen, Inhalte und Services allen Nutzer:innen zugänglich zu machen – und bei unserer Arbeit Akzeptanz, gesellschaftliche Vielfalt und Gleichberechtigung zu fördern. Das Beste daran? Barrierefreiheit schafft eine klassische Win-win-Situation: Deine Kund:innen profitieren von einer verbesserten Benutzererfahrung, und du profitierst von einer stärkeren Kundenbindung, einem erweiterten Marktpotenzial und einer positiven Markenwahrnehmung.

Barrierefrei werden - vereinbaren Sie ein Erstgespräch.

Kathrin Köhler Experience Design Director (UI)

Vielen Dank für Ihre Nachricht

Wir haben Ihre Anfrage erhalten und melden uns umgehend bei Ihnen.

Unser Experte

Kathrin Köhler Experience Design Director (UI)

Kathrin Köhler ist seit 2018 bei Moccu und derzeit Experience Design Director. Ihr Schwerpunkt liegt auf User Interfaces, Design Systems sowie strategischer Kundenberatung, um optimale Designlösungen und nachhaltige digitale Erlebnisse zu schaffen.

LinkedIn

Alle Artikel von Kathrin Köhler

Mehr Insights aus unserem Blog

Zurück zur Übersicht Back to Top